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 Wert (schätzung) in der Pflege

Seit der Corona-Pandemie ist die Pflege und deren prekäre Situation thematisch in der Gesellschaft angekommen. Es wurde geklatscht, gejubelt und nach Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege gerufen. Aber was ist nun, zwei Jahre seit Beginn der Pandemie, wirklich geschehen?

Als eines der letzten Vorhaben unseres vorhergehenden Gesundheitsministers, Jens Spahn (CDU) und der großen Koalition, wurde das Gesetz zur Weiterentwicklung in der Gesundheitsversorgung auf den Weg gebracht. Dieses sieht vor, dass sich jeder Anbieter von Pflegeleistungen an einen Tarifvertrag oder an eine kirchliche Arbeitsrechtsregelung binden muss, oder zumindest entsprechende Vergütungen zahlen muss. Halten sich die Pflegeanbieter nicht an die entsprechenden Lohn- und Gehaltszahlungen, kommt es zu keinem Versorgungsvertrag mit den Kostenträgern und die Einrichtungen können die erbrachten Leistungen nicht entsprechend abrechnen.
Die Idee, an breiter Front, für alle in der Pflege Beschäftigen, eine Steigerung der Entlohnung zu gewährleisten, ist ein guter Ansatz, wenn den die Frage der Refinanzierung geklärt ist und die entsprechenden Betriebe durch gesteigerte Vergütungsvereinbarungen, diese Löhne auch entsprechend refinanziert bekommen und wirtschaftlich arbeiten können. An dieser Stelle möchte ich jedoch einmal davon ausgehen, dass die Refinanzierung der Löhne und Gehälter gesichert ist und die Pflegedienste wirtschaftlich entsprechend agieren können. Wer finanziert nun die gestiegenen Kosten? Es gibt jetzt drei Möglichkeiten wie diese Kosten aufgefangen werden können:

1. Der Bund und die Länder finanzieren aus Steuermitteln die Mehrausgaben der Kostenträger und die Budgets für die Pflegesachleistungen werden entsprechend angepasst

2. Die Beiträge für die Pflegeversicherung werden auf breiter Front angehoben und die Solidargemeinschaft trägt die Mehrkosten. Die Budgets der Pflegesachleistungen werden angepasst.

3. Die Mehrkosten werden 1:1 an die Pflegebedürftigen weitergegeben. Durch die erhöhten Vergütungen für die Pflegeanbieter, können die Versicherten weniger Leistungen in Anspruch nehmen

Variante 1 und 2 betreffen alle diejenigen, die in die gesetzlichen Kassen einzahlen und wird aller Wahrscheinlichkeit Besserverdienende ohne zusätzliche Kosten für diese außen vor. Unterm Strich steigen die Beiträge und die Bürger werden insgesamt zusätzlich belastet. In Variante 3 sind die Leidtragenden ausschließlich die Pflegebedürftigen und deren Angehörige, die gegebenenfalls private Zahlungen leisten müssen, wenn diese auf die gleiche Anzahlt der Pflegeleistungen angewiesen sind. Das Szenario betrifft dann die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft, die genau genommen einen besonderen Schutz benötigen, um nicht weitere Benachteiligungen erfahren zu müssen.

Mein Ansatz, den ich gerne in die Runde werfen möchte, ist nun folgender:

Die Entlohnung der Pflegekräfte ist eine Stellschraube an der gedreht werden kann, um zumindest die monetäre Attraktivität der sozialen Berufe zu steigern und mögliche Verbesserungen in den Pflegeeinrichtungen zu bewirken. Wenn ein Mensch sich dazu entscheidet, sich in einem sozialen Beruf zu engagieren und seine Arbeitskraft im Sinne des Gemeinwohls und der Gesellschaft als Ganzes zur Verfügung zu stellen, anstatt in der freien Wirtschaft für die gleiche Arbeitsleistung eine möglicherweise höhere Entlohnung zu bekommen, sollte dies von uns als Gesellschaft und auch als Staat besonders honoriert werden. Dies kann zum Beispiel durch eine signifikante Verringerung der Lohnsteuerlast geschehen.

Zu diesem Thema habe ich einmal versucht Daten zu den sozialversicherungspflichtig Angestellten in der Pflege zu ermitteln und habe auf der Suche eine Zahl von 1,2 Mio. Beschäftigten in der Pflege im Jahre 2019 gefunden. Die Zahl stammt vom Bundesgesundheitsministerium und kann dort nachgelesen werden. Für das nun anstehende Rechenbeispiel verwende ich der Einfachheit halber für alle Beschäftigten den gleichen, wohl bemerkt sehr üppigen, Bruttolohn von 3600,00€ pro Monat. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass viele Pflegende bei Weitem nicht an dieses Gehalt herankommen und das lediglich als Beispiel dienen soll. Bemüht man nun einen im Netz sehr leicht auffindbaren Brutto-Netto-Rechner, kommen folgende Zahlen dabei heraus.

Steuerklasse 1, Kirche (ja), keine Kinder:
Kirchensteuer 42,83€
Lohnsteuer 535,41€
RV 334,80€
AV 43,20€
KV 286,20€
PV 67,50€
Netto 2290,06€

Steuerklasse 4, Kirche (ja), 1 Kind:
Kirchensteuer 34,41€
Lohnsteuer 539,41€
RV 334,80€
AV 43,20€ 
KV 286,20€
PV 54,90€
Netto 2307,08€

Auf den ersten Blick sehen die Nettogehälter gar nicht so schlecht aus, man muss aber im Hinterkopf behalten, dass sehr viele Beschäftigte nicht an das Bruttogehalt herankommen, zudem die Belastung durch Personalmangel sehr hoch ist und man für das Geld entsprechend hart arbeiten muss!

Wir begrenzen nun die steuerliche Belastung im Bereich der Lohnsteuer auf ¼ und kommen nun auf eine Steuerlast von 133,85€ in Steuerklasse 1 und 134,85€ in Steuerklasse 4. Das macht dann, ich vernachlässige jetzt mal den einen Euro Unterschied, einen Nettolohn von rund 2691,62€. Es handelt sich um eine Ersparnis der Lohnsteuer von 401,35€, die nun netto mehr zur Verfügung stünde. Nehmen wir nun die anfangs genannten 1,2 Mio. Beschäftigten und multiplizieren diese mit den Steuermindereinnahmen von 401,35€ pro Monat, kommen wir auf einen Wert von 481.620.000,00€ an Mindereinnahmen im Bereich der Lohnsteuer. Auf das gesamte Jahr gerechnet ergeben sich Mindereinnahmen von rund 5,8 Mrd. €. Das ist natürlich ein beachtlicher Betrag der sich auf das gesamte Jahr betrachtet ergibt. Nimmt man aber die Zahlen des Bundesfinanzministeriums hinzu, welches Gesamtsteuereinnahmen in Höhe von 735,9 Mrd. € für 2019 ausweist, sind das lediglich 0,79% der gesamten Steuereinnahmen der BRD. 

Es ist zumindest finanziell möglich den Pflegeberuf durch steuerliche Entlastung immens aufzuwerten und auf der monetären Seite um einiges attraktiver zu machen!

Die Mindereinnahmen sind auch nur vorrübergehend, da eine nicht zu verachtende Zahl an Menschen in der Pflege über eine höhere Kaufkraft verfügen und die Steuereinnahmen z.B. im Bereich der Mehrwertsteuer steigen.

Was wäre denn nun der Effekt dieser steuerlichen Entlastung und was hat die Solidargemeinschaft als Ganzes davon?

Hier möchte ich zwischen kurzfristigen und mittelfristigen Auswirkungen differenzieren. Die kurzfristigen Effekte sind zum einen eine Steigerung der Attraktivität des Berufsstandes der Pflege und der Profession an sich und es wird Aussteiger dazu animieren, zurück zu kehren. Wenn ich mich mit ehemaligen Pflegenden unterhalte, sind die Hauptkritikpunkte die stetige Überlastung, das Gefühl seine Arbeit nicht so machen zu können wie sie es gelernt haben und natürlich die Bezahlung im Verhältnis zu der geleisteten Arbeit. Kommen nun Aussteiger zurück, steht kurzfristig auch wieder mehr Fachpersonal zur Verfügung, welches über Erfahrung und Expertise verfügen. Ebenfalls denkbar sind Aushilfskräfte, die aus steuerlichen Gründen keinen höheren Umfang an Stunden arbeiten. So kommen wiederum mehr Beschäftigte in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, was auch wieder positive Auswirkungen auf die Sozialversicherungen hat. Die Steuervorteile dürfen allerdings ausschließlich auf Unternehmen und deren Angestellte angewendet werden, die auch wirklich über einen entsprechenden Versorgungsvertrag mit den Kostenträgern verfügen. Ansonsten erstreckt sich der steuerliche Vorteil ebenfalls auf Beschäftigte in den Personalleasing-Agenturen, die aktuell schon sehr hohe Stundensätze für entsprechend qualifiziertes Fachpersonal aufrufen. Auf diese Weise kann diese Entwicklung ebenfalls gestoppt, oder zumindest verlangsamt werden.

Auch für die Patienten wird die höher Dichte an Fachpersonal eine positive Auswirkung haben, denn es werden mehr Stunden für qualifizierte und wertvolle Pflege am Patienten erbracht, die sich fördernd auf den Genesungsprozess und auch auf eine mögliche, nachfolgende Pflegebedürftigkeit auswirkt. Es kann kontinuierlich und stetig am Pflegeprozess gearbeitet werden und möglicherweise eine drohende Abhängigkeit von Pflegeleistungen nach einem stationären Aufenthalt vermieden werden.

Mittelfristig kommt es zu einer Steigerung der Auszubildenden in der Pflege, da sich Vergütung und die Arbeitsbedingungen verbessern und somit das soziale Engagement entsprechend gewürdigt wird. Auf diese Weise kommt junger Nachwuchs als Ersatz für die Beschäftigten, die kurz vor dem Renteneintrittsalter stehen und in absehbarer Zeit aus dem Beruf ausscheiden werden.

Abschließend möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass wir bei einer solchen Veränderung nicht die Gehälter und somit die Belastung für die Kostenträger erhöht haben, sondern wir haben lediglich dafür gesorgt, dass bei aktuellen Gehältern mehr unter dem Strich für die einzelnen Beschäftigten hängen bleibt. Und das für gerade einmal 0,79% der gesamten Steuereinnahmen!

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